Stellungnahme Prof. Hülsmann zu Über-, Unter- & Fehlversorgung in der Endodontie
Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat 2001 ein Gutachten zur Über-, Unter- & Fehlversorgung in der Zahnmedizin verfasst. Im Rahmen des Heidelberger Kolloquiums äußerte sich der renommiert Endodontie-Wissenschaftler, Prof. Michael Hülsmann (Göttingen) dazu.
Tagungsbericht aus der Zeitschrift Artikulator Nr. 74:
PROF. DR. HÜLSMANN UNIVERSITÄT GÖTTINGEN, ABTEILUNG FÜR ZAHNERHALTUNG:
„Endodontie ist unterbezahlt, aber bei ausreichender Bezahlung muss auch für bessere Qualität gesorgt werden.“
Für den Bereich „Endodontie“ äußerte sich Prof. HÜLSMANN schon einleitend klar und deutlich. Auch wenn die Datenlage unzureichend sei, ließen sich aus vorhandenen Studien, wenn auch mit gebotener Vorsicht, durchaus Tendenzen ablesen: So seien Überversorgungen in der Endodontie selten anzutreffen. Eher müsse man in der Bevölkerung insgesamt wie in vielen Einzelfällen „deutliche Unterversorgungen“ registrieren. Fehlversorgungen seien besonders „im Bereich der Prozessqualität“ zu verzeichnen.
Zum Beleg seiner Einschätzungen führte er Studien an, die zum Teil einen recht langen Zeitraum überschauen. In eigenen Untersuchungen habe er auf Röntgenübersichtsaufnahmen von erwachsenen Neupatienten an den vorhandenen Zähnen zwischen 1,5 Prozent (1976) und 2,1 Prozent (1993) apikale Ostitiden gefunden. Der endodontische Bedarf sei also immer noch groß und noch keinesfalls gedeckt.
Daneben gäbe es Hinweise darauf, dass immer noch viele Zähne zur Extraktion gelangten, die endodontisch erhalten werden könnten. Immerhin habe sich aber die Rate zwischen Wurzelfüllungen und Extraktionen von 1,0 zu 5,5 im Jahr 1970 auf 1,0 zu 1,7 im Jahr 1999 verändert. Bemerkenswert sei aber eine deutliche Diskrepanz zwischen der Anzahl der Wurzelkanalaufbereitungen und der Wurzelfüllungen. So seien 1999 rund zwei Millionen Wurzelkanäle nicht abgefüllt worden.
Mit Wurzelfüllungen seien zwischen 2,7 (1976) bis 4,6 Prozent (1993) der Zähne versorgt gewesen, ein Anteil der uns „allenfalls im europäischen Mittelfeld“ platzieren würde. Besonders bedenklich sei allerdings die Tatsache zu werten, dass die Zähne mit erkennbarer Wurzelbehandlung zwischen 22 und 40 Prozent apikale Ostitiden, also Entzündungen an der Wurzelspitze, als Ausdruck unzureichender Erfolge aufweisen würden.
Einen Revisionsbedarf als Ausdruck von Fehlversorgungen habe er in 13 bis 75 Prozent der wurzelbehandelten Zähne feststellen müssen, was im europäischen Vergleich als ein besonders schlechtes Ergebnis anzusehen sei.
Bei Untersuchungen in Zahnarztpraxen sei festgestellt worden, dass die Wurzelfüllungen in 3,6 Prozent der betroffenen Zähne zu lang, in 50 Prozent der Zähne zu kurz und in 50 Prozent röntgenologisch als undicht zu bewerten waren.
In einer anderen Untersuchung seien 75 Prozent als endodontisch behandlungsbedürftig eingeschätzte Zähne auch zwölf Monate später noch nicht behandelt gewesen.
Da wundere es nicht, dass die Verweildauer von Zähnen mit Wurzelfüllungen laut einer Betriebskrankenkassenstudie bereits nach drei Jahren auf 81 Prozent abnähme. Die Erfolgsquote könne nach mehreren Studienergebnissen in Deutschland mit maximal 50 Prozent angenommen werden, was deutlich schlechter ausfiele als dieses notwendig sei.
In Frage zu stellen sei schon die Diagnostik, wenn nur in 50 bis 60 Prozent der Behandlungsfälle Eingangsröntgenaufnahmen vorliegen würden. Allerdings hätten Messaufnahmen in den letzten Jahren zugenommen. Kofferdam werde einer Befragungsstudie bei deutschen Zahnärzten aus dem Jahre 1999 zufolge bei Wurzelbehandlungen nur von 8,6 Prozent der Zahnärzte regelmäßig, von 39 Prozent nie und von 54 Prozent der Zahnärzte nur gelegentlich angewendet.
Bedenklich stimme, dass die fachlich heute abzulehnenden Devitalisierungen nach der BEMA-Position „Dev“ im Jahre 1999 immer noch in 658.000 Fällen durchgeführt wurden, die ebenfalls obsoleten Mortalamputationen („MoA“) in 96.300 Fällen.
Mit Sicherheit hätten die Zahnärzte in Deutschland die Wurzelbehandlungen in den letzten Dekaden wieder verstärkt in ihr Angebot aufgenommen. In den achtziger Jahren seien die Zahlen stark angestiegen, seit Mitte/Ende der neunziger stagnierten sie jedoch oder gingen sogar leicht zurück, was aber auch mit den Rahmenbedingungen zusammenhängen könne.
HÜLSMANN schlussfolgerte, dass immer noch Unterversorgungen zu überwinden und Diagnostik und Therapie in der Endodontie unbedingt zu verbessern seien. Selbstverständlich sei ein ordentliches Honorar erforderlich, dass man sich allerdings auch durch Qualität verdienen müsse.
Zurück